Der chemische und ökologische Zustand der Vechte soll sich verbessern. Für eine Probephase von drei Jahren wurde nun die Stauhöhe am Wehr in Grasdorf verringert, um die Fließgeschwindigkeit zu erhöhen. Die Regulierung soll für Natürlichkeit sorgen.
Von Sebastian Hamel
Grasdorf. Der Vechtelauf zwischen Nordhorn und Niedergrafschaft gibt seit einigen Wochen ein schier besorgniserregendes Bild ab: Der Wasserstand ist ungewöhnlich niedrig, die sonst überschwemmten Randsteine kommen als „toter Bereich“ zum Vorschein und selbst die kleine Insel vor dem Ölmühlenwehr gleicht aktuell mehr einer Landzunge. Steht das bedeutsamste Fließgewässer unseres Landkreises etwa kurz vor dem Versiegen?
Mitnichten! Zwar führt der Fluss derzeit tatsächlich nicht viel Wasser, doch der extrem niedrige Pegelstand ist von Menschenhand herbeigeführt: Das Vechtewehr in Grasdorf – etwa auf halber Strecke zwischen Nordhorn und Neuenhaus gelegen – staut das Wasser derzeit weniger hoch als sonst im Sommer üblich. Bisher war in der warmen Jahreszeit ein Stauziel von 16,60 Meter über Normalnull für den Flussabschnitt bis zur Kreisstadt festgelegt, im Winter wurde der Wasserstand rund 50 Zentimeter niedriger eingestellt. Seit April wird nun für eine Dauer von drei Jahren auf das sommerliche Aufstauen verzichtet.
Hintergrund dieser Entscheidung ist das Vorhaben des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), die Renaturierung der Vechte und die Verbesserung der Wasserqualität voranzubringen. Die europäische Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, dass die Vechte bis 2027 einen guten chemischen und biologischen Zustand vorweisen muss. Im Fokus steht dabei der Bestand von Fischen, Kleinstlebewesen, Pflanzen und Algen. „Defizite gibt es derzeit in allen vier Komponenten“, berichtet NLWKN-Projektleiter Josef Schwanken.
Um dem entgegenzuwirken, wollen die Verantwortlichen die Struktur des begradigten Flusses verändern. Zu den einzelnen Bestrebungen gehört etwa, dass sich das Gewässer in einem vorher festgelegten Korridor selber wieder sein Bett suchen soll. Der Anschluss des Altarms in Frenswegen 2013/14 war ein erster Schritt. „Der Teil hat sich super entwickelt“, sagt Josef Schwanken. Unter anderem seien die Uferschwalbe und der Eisvogel dort anzutreffen. Für mehr Natürlichkeit im Flusslauf sollen weiterhin Uferabbrüche, das Entfernen der begrenzenden Schüttsteine und das Einpflanzen von Bäumen in die Böschung zur Strömungslenkung sorgen.
Dem Erreichen einer eigendynamischen Entwicklung der Vechte stand bisher allerdings das Aufstauen des Flusses entgegen. „Dadurch herrschen kanalartige Fließverhältnisse“, beschreibt der Experte. Für die Uferabbrüche etwa bedürfe es allerdings eines fließgewässertypischen Abflussverhaltens. Deshalb wurde die Stauhöhe nun verringert: Fachleute haben dafür einen Kompromisswert ermittelt, der ganzjährig gilt und die Belange von Landwirtschaft und Naturschutz berücksichtigt. Wegen der nun höheren Fließgeschwindigkeit werden Sohlschwellen aus Totholz im Flussbett eingelagert, um der Erosion vorzubeugen. Der Landkreis hat die veränderte Stauregulierung des Vechtewehrs genehmigt – und auch der Fürst als Eigentümer der angrenzenden Flächen unterstützt das Vorhaben.
Um die Auswirkungen zu erfassen, wird das dreijährige Projekt durch ein umfangreiches Monitoring begleitet. Dazu zählen die Peilung der Sohle sowie das Erheben von Daten zur Entwicklung der Grundwasserstände, der Fließgeschwindigkeiten und der Einflüsse auf den Naturraum. Auch Drohnenbefliegungen sollen dabei zum Einsatz kommen. „Besonderes Augenmerk wird zum Beispiel auf sensible Bereiche wie angeschlossene Altarme und Altgewässer gelegt. Die wertvolle und sensible Fischfauna wurde in Zusammenarbeit mit dem FSV Nordhorn und dem Landesfischereiverband Weser-Ems erfasst und aus Gründen des Tierschutzes bereits teilweise in die Vechte umgesetzt“, teilt Josef Schwanken mit. Für die Überwachung der Wasserstände wurde an der Brücke de-Wilde-Straße in Frenswegen eigens ein Pegelmesser eingerichtet.
Der NLWKN will regelmäßig über die gewonnenen Erkenntnisse informieren, um für ein Höchstmaß an Transparenz zu sorgen. Nach Abschluss der Probephase wird der Landesbetrieb eine Empfehlung für das weitere Vorgehen abgeben.